Sexualität

Warum kann sexuelle Enthaltsamkeit für tiefe Meditation und spirituelle Entwicklung förderlich sein? Welche Beziehung besteht zwischen sexueller und spiritueller Energie? Sri Chinmoy erklärt, wie es möglich ist, Sexualität zu transzendieren statt zu unterdrücken und dadurch zu höherer Erfüllung zu finden.

Lieben lernen

“Nichts ist wichtiger als Freundschaft, Liebe und Zuneigung; und gerade auf diesem Gebiet braucht man die meiste Klarheit. Wenn man jemanden liebt, darf man nicht so sehr an sich selbst denken; denn dann vergisst man alles Göttliche und Heilige und zieht den geliebten Menschen in die niederen Bereiche der eigenen Wünsche und Begierden hinab. Liebe heißt aber im Gegenteil Opfer bringen, über sich selbst hinauswachsen, etwas Großes für den Geliebten tun – und nichts ist erhabener, als ihn mit der Quelle zu verbinden.” Auch diese schönen Worte stammen von Mikhail Aivanhov. Sie bedeuten nichts weniger, als sich einzugestehen, wie weit man noch von der Lauterkeit der selbstlosen Liebe entfernt ist. Meist muss man erst mal alle Stufen durchleben um zu erkennen, wo die wirkliche Erfüllung liegt. Eine andere spirituelle Persönlichkeit, Mira Alfassa, auch die Mutter genannt, hat diese stufenweise Entwicklung so beschrieben:
“Zuerst liebt man nur, wenn man geliebt wird. Dann liebt man spontan, will jedoch wiedergeliebt werden. Später liebt man, auch wenn man nicht geliebt wird, doch liegt einem daran, dass die Liebe angenommen werde. Und schließlich liebt man rein und einfach, ohne ein anderes Bedürfnis und ohne eine andere Freude zu haben als nur zu lieben.”

Das richtige Verständnis

Als spiritueller Sucher möchte man natürlich alles gern verstehen, vor allem das, was im Hintergrund vor sich geht: das Wirken der Kräfte und Energien. Was wir in der äußeren Welt erleben, ist schließlich das Ergebnis dieses Wirkens. Darum stellt sich einem oft die Frage, warum man dieses oder jenes erleben muss, warum man leidet, wieso man auf etwas verzichten soll, was doch eigentlich ganz schön ist. Die Frage der Sexualität und ihrer Transformation ist sicherlich eine der herausfordernsten auf dem spirituellen Weg und nicht wenige scheitern daran.
Es gibt einen inspirierenden Ausspruch, der mit wenigen Worten alles sagt, auch zu diesem Thema: Niemand muss. Wer will, der muss. Wer einsieht, der will auch.
Bei dem Meister Mikhail Aivanhov habe ich schon oft das gefunden, was mir an Einsicht fehlte. Ich kann auch jedem empfehlen, sich mit seinen Büchern zu beschäftigen. Es gibt wohl kaum ein Lebensthema, über das er sich nicht geäußert hat.
Hier ein Text aus dem Buch “Die Sexualkraft oder der geflügelte Drache”: “Alles kommt von Gott und alles, was sich durch den Menschen als Energie manifestiert, ist Ursprung einer göttlichen Energie. Sie hat jedoch verschiedene Auswirkungen, je nachdem, durch welchen Leiter sie sich offenbart. Man kann sie mit Elektrizität vergleichen. Elektrizität ist eine Energie, deren Wesen unbekannt ist; leitet man sie durch eine Lampe, wird sie zu Licht, obwohl sie selbst doch kein Licht ist, durch eine Heizplatte geleitet wird sie zu Wärme, durch einen Magneten zu Magnetismus, durch einen Ventilator zu Bewegung. Ebenso gibt es auch eine kosmische Urkraft, die, je nachdem, durch welches Organ des Menschen sie sich manifestiert, die eine oder andere Ausdrucksform annimmt. Wenn sie sich durch das Gehirn äußert, wird sie zu Intelligenz und Urteilsvermögen, durch den Solarplexus oder das Hara-Zentrum zu Gefühl und Empfindung, durch die Muskulatur zu Bewegung und wenn sie sich schließlich durch die Geschlechtsorgane ausdrückt, wirkt sie als Anziehungskraft auf das andere Geschlecht. Aber es handelt sich immer um dieselbe Energie.”

Wie verwandelt man Verhaftetsein in Nichtverhaftetsein?

Sri Chinmoy:
Verhaftetsein wird mit zunehmendem Alter nicht weniger. Wir können es nur durch inneres Streben überwinden. Um frei von Anhaftung zu sein, müssen wir verschiedene Stufen durchschreiten. Wir müssen spirituelle Schriften und Bücher studieren. Wir müssen uns spirituellen Suchern anschließen, die diese Bücher studiert haben und jetzt nach dem wahren Licht streben, oder Suchern, die in ihrem Leben inneren Strebens bereits ein gewisses Maß an Licht oder beträchtliches Licht erlangt haben. Wir müssen sehen oder fühlen, dass in der gewöhnlichen Welt um uns herum Versuchung herrscht, der wir jederzeit zum Opfer fallen können, und dass wir mutig dagegen kämpfen müssen. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit vom physischen Bewusstsein und den Forderungen des Körpers zurückziehen und in eine Welt erweiterten Bewusstseins eintreten. Wir müssen die Notwendigkeit fühlen, das göttliche Ziel zu erreichen, und wir müssen der Führung des inneren Führers folgen, der Gott ist, entweder in Gestalt eines Gottverwirklichten Meisters oder in Seiner eigenen unverkörperten Form.
Jene zu lieben, die uns lieben, heißt das Richtige zu tun. Jene zu lieben, die uns nicht lieben, heißt das Gute zu tun. Gott zu lieben, der uns immer liebt, heißt das Weise zu tun. Wenn wir das Richtige tun, sind wir frei. Wenn wir das Gute tun, sind wir sicher. Wenn wir das Weise tun, sind wir erfüllt.

Warum ist Nichtverhaftetsein an unsere Familie spirituell dem Verhaftetsein vorzuziehen?

Sri Chinmoy:
Anhaftung ist die Wurzel der Begierde; Unwissenheit ist die Wurzel der Anhaftung. In dieser Welt sind wir dem Körper, dem Vitalen, dem Verstand und dem Herzen verhaftet. Warum? Weil wir besitzen wollen. Leider vergessen wir, dass es nichts auf Erden gibt, das wir für immer besitzen können. Nein, nicht einmal für eine lange Zeit.
Indiens größter Philosoph Shankara sagte: „Wer ist eure Ehefrau, wer ist euer Sohn? Diese Welt ist sehr seltsam. Brüder, denkt an den Einen, der ewig euer ist.“ Das ist die Botschaft des Nichtanhaftens. Wenn ihr einer physischen Person – der Ehefrau, dem Ehemann, dem Sohn, dem Freund – verhaftet seid, dann bindet ihr euch selbst und den anderen. Aber wenn ihr den wahren Gegenstand der Anbetung in der Ehefrau, im Ehemann, im Sohn seht, dann kann göttliches Wissen in euch erwachen.
Buddha verließ seine schöne Frau und sein kleines Kind, als sie schliefen. Bevor er ging, sagte er: „Ich habe euch geliebt. Ich liebe euch noch immer. Aber ich muss auch die ganze Welt lieben. Nur wenn ich die ganze Welt lieben kann, wird meine Liebe zu euch vollkommen sein.“ Sein menschliches Verhaftetsein musste sich der göttlichen Liebe in ihm ergeben.
Als sie das Königreich verließen, stellte Buddhas Wagenlenker ihm eine bedeutsame Frage: „Bist du nicht gemein? Wie kannst du deine Frau verlassen, die dir so viel Zuneigung geschenkt hat? Du bist ihr Schatz, du bist ihr unvergleichlicher Reichtum.“
Buddha sagte: „Du hast unrecht. Die Zuneigung meiner Frau band mich, und meine Zuneigung band sie. Jetzt betrete ich die große Welt, wo niemand ist, der mich binden kann, und wo ich niemanden binden werde. Ich werde mich selbst und andere befreien.“
Ein wahrer Philosoph ist jemand, der nicht verhaftet ist. Er allein kann die Schau der Wahrheit haben. Wenn er diese Schau einmal erlangt hat, kann er leicht gegenüber Erfolg und Niederlage, Freude und Kummer, Vergnügen und Schmerz gleichgültig sein. Sein Nichtverhaftetsein bedeutet nicht, dass er der Welt nicht helfen wird, oder dass er keine Hilfe von der Welt annehmen wird. Es bedeutet, dass er nicht an jene gebunden sein wird, denen er hilft, oder an jene, die ihm helfen. Wenn wir verhaftet sind, werden wir frustriert; wenn wir nicht verhaftet sind, werden wir erfüllt. Wenn wir fühlen können, dass es Gott ist, der in und durch uns wirkt, genauso wie Er in der Welt und durch die Welt wirkt, dann können wir wahrhaft frei sein.
Es heißt, dass ein Mann vor der Heirat das Streben der Frau ist und nach der Heirat ihre Verzweiflung. Aber wonach strebt die Frau? Sie strebt nach der Erfüllung einer Begierde oder Verlangens. Wenn der Gegenstand der Begierde erlangt ist, stellen sich Enttäuschung und Frustration ein. Wenn wir irgendeine unserer Begierden erfüllen, werden wir sehen, dass wir keineswegs die köstliche Frucht genießen, die wir erwartet haben, sondern vielmehr etwas Destruktives, Giftiges und Unbefriedigendes. In Indien gibt es ein Sprichwort, dass jeder, der nicht den Delhi ka laddu (ein süßer Kuchen aus Delhi) gegessen hat, sich übergangen fühlt, und jeder, der ihn gegessen hat, sich angewidert fühlt. Das trifft auch stets im Fall von erfüllter und unerfüllter Begierde zu. Auf Begierde mag zwar Erfüllung folgen, aber es ist nicht die Erfüllung, die uns Energie schenkt und uns größere innere Kraft gibt, um das Richtige zu tun. Im Gegenteil, sie wird nur das geringe innere Streben zerstören, das wir bereits haben.

Sollten Mann und Frau dieselbe Art von Liebe und Hingabe für einander empfinden, die sie auch für den Guru empfinden, oder sollte es eine andere Art sein?

Sri Chinmoy:
Zwischen einem Ehepaar und einem großen spirituellen Meister besteht ein kleiner Unterschied in Bezug auf ihre spirituellen Errungenschaften. Die Liebe und Hingabe, die du deinem Ehemann entgegenbringst, und die Liebe und Hingabe, die er dir entgegenbringt, wird euch ohne Zweifel in eurem inneren und äußeren Leben untrennbar eins werden lassen. Aber wenn ihr aufgrund eurer gegenseitigen Liebe und Hingabe von einander Verwirklichung, Erleuchtung und Befreiung erwartet, dann glaube ich, müsst ihr so lange warten, bis die ewige Zeit in die unendliche Unwissenheit eintritt. Die Liebe und Hingabe, die ihr notwendigerweise für euren Meister haben müsst, um die transzendentale Wahrheit zu verwirklichen, sollte den tiefsten Winkeln eures rufenden, suchenden und strebenden Herzens entspringen. Die Liebe und Hingabe, die ihr eurem spirituellen Vater anerbietet, ist unendlich viel reiner, tiefer, höher, ergebener und erleuchteter als die Liebe, die Mann und Frau einander anerbieten können.
Mann und Frau können wahrhaftig, seelenvoll, unfehlbar und uneingeschränkt eins werden, wenn sie zuerst ihr Einssein mit dem Meister entdecken. Der eine Partner muss die lebende Gegenwart des anderen Partners im Herzen des Meisters fühlen. Nur dann wird die Göttlichkeit des einen sich im Leben des anderen widerspiegeln. Mögen Ehemann und Ehefrau ihrem Guru gemeinsam ihre Liebe und Hingabe erweisen. Der Guru wird ihnen binnen kürzester Zeit zeigen, was er für sie hat: die unendliche Flut der Befreiung.

Kannst du bitte über die Ehe im Hinblick auf das spirituelle Leben sprechen?

Sri Chinmoy:
Da jede Seele ein göttlicher Teil von Gott ist, kann Ehe etwas sehr Spirituelles sein. Wenn sowohl Ehemann als auch Ehefrau bei demselben Guru sind und tiefsten Glauben an den Guru haben, dann können sie gemeinsam sehr schnellen Fortschritt machen. Da sie an den Guru glauben, bringt er die höchste Kraft herab, um ihnen zu helfen, sie zu führen und zu formen, und sie helfen sich zugleich gegenseitig. Aber in vielen Ehen sehen wir, dass der Ehemann spirituell ist und die Frau unspirituell oder umgekehrt. Wenn das der Fall ist, sind beide in ein Tauziehen verwickelt. Der eine kann keinen zufriedenstellenden inneren Fortschritt machen, und der andere kann keinen zufriedenstellenden äußeren Fortschritt machen.

Welchem Zweck dient die Vereinigung zwischen Mann und Frau?

Sri Chinmoy:
Wenn die Vereinigung zwischen Mann und Frau stattfindet, misst jeder der Handlung eine mehr oder weniger große Bedeutung bei. Aber im höchsten, tiefsten spirituellen Leben, wenn die Verwirklichung des Einsseins mit der ganzen Menschheit zum Vorschein kommt, dient diese gewöhnliche menschliche Vereinigung keinem Zweck mehr. Man kann mit jemandem Hunderte von Malen körperliche Beziehungen haben, aber die echte Vereinigung, die innere Vereinigung findet nicht statt. Nur wenn wir die Einheit unserer Seele mit einem Menschen herstellen können, sind wir erfüllt. Wenn wir uns selbst von den Fesseln der Unwissenheit befreien können und wenn wir die ganze Erde als unser eigen erkennen, wenn wir fühlen können, dass die ganze Menschheit zu uns gehört, nur dann können wir wahre Vereinigung erfahren. Körperliche Vereinigung ist keine wirkliche Vereinigung im Vergleich zu der alles durchdringenden Vereinigung spirituellen Einsseins, die wir erlangen können.
Ich sage dies alles von einem rein spirituellen Standpunkt aus. Wir müssen erst ein gewisses Niveau erreichen, bevor wir die gewöhnliche menschliche Beziehung zurückweisen können. In Indien kommen sehr oft Schüler zu ihrem Meister und sagen, dass es in der menschlichen Vereinigung keine Freude gibt. Daraufhin tauchen diese Schüler in das tiefere spirituelle Leben ein und erfahren die höchste Freude und die reinste Wonne in der inneren Vereinigung mit ihrem Höchsten Geliebten.
Wonne und Vergnügen sind zwei verschiedene Dinge. Wenn sich jemand um das innere spirituelle Leben bemüht, erfährt er Wonne. Wenn jemand das gewöhnliche menschliche Leben lebt, erfährt er Vergnügen. Auf Vergnügen folgt zwangsläufig Frustration, weil es im Vergnügen keine bleibende Erfüllung gibt. Aber Wonne ist allerfüllend. Diese Wonne erfahren wir nur in der spirituellen Vereinigung mit dem Göttlichen, mit unserem inneren Wesen. Wir müssen wissen, was wir wollen. Wenn wir Vergnügen wollen, dann genügt für eine Weile die Vereinigung zwischen Mann und Frau. Aber wenn wir Wonne wollen, den Nektar der Unsterblichkeit, die unsterbliche Glückseligkeit, dann müssen wir uns auf den Pfad der Spiritualität begeben und die erhabene Vereinigung zwischen Mensch und Gott begründen.

Wann immer ich eine schöne Frau sehe, kommen mir sexuelle Gedanken in den Sinn. Ich versuche sie zu zerstören, aber sie bleiben.

Sri Chinmoy:
Es gibt zwei Wege, dieses Problem zu lösen. Sobald du eine schöne Frau siehst, versuche dich zu konzentrieren und sie mit deinem Willen in die Höhe zu heben, so dass sie wie ein Drachen fliegt. Der andere Weg, der leichteste Weg ist, nur auf ihre Füße zu schauen, wenn du eine Frau siehst. Indische Sadhus sagen, man soll nur auf die Füße blicken, nicht in die Augen, nicht ins Gesicht. Wenn du augenblicklich von der Versuchung erlöst sein willst, dann schau nur auf die Füße. Schau auf die Füße und versuche dann, mit deinem ganzen Bewusstsein tief nach innen zu gehen. Das dauert nur eine Sekunde. Hebe entweder die Frau empor oder schau auf ihre Füße. Dann werden niedere vitale Gedanken sofort unter Kontrolle sein. Viele haben das getan und waren damit sehr erfolgreich. Es gab einen großen indischen Avatar namens Sri Chaitanya. Er pflegte all seine Schüler zu bitten: „Selbst wenn es eure Mutter ist, schaut nicht in ihre Augen, schaut einfach nur auf ihre Füße.“
Aber diese Methoden sind nur für Anfänger. Ein Tag wird kommen, wo du Frauen mit offenen Augen anschauen und mit deiner inneren Erfahrung, mit deiner eigenen inneren Verwirklichung über das Gefühl von Mann und Frau hinausgehen musst. Es gibt nur ein Bewusstsein; es gibt kein männlich und weiblich. Es gibt nur ein Bewusstsein, das in zwei verschiedenen Formen fließt. Dieses Gefühl entwickelt sich nur gemeinsam mit deiner eigenen inneren Entwicklung. Es ist ein sehr fortgeschrittener Zustand. Im Augenblick fühlen wir uns vielleicht nicht einmal eins mit unseren Körperteilen. Wenn ich die Kugel mit meiner rechten Hand weiter stoßen kann als mit der linken Hand, dann gebe ich der rechten Hand mehr Bedeutung und ignoriere die linke. Ich habe viele Athleten gesehen, die ihre linke Hand verfluchen, weil sie die Hilfe der linken Hand brauchen, obwohl sie nicht so kraftvoll ist wie die rechte. Wenn wir nicht einmal mit unseren eigenen Händen Einssein fühlen können, wie können wir dann mit einem anderen Menschen eins sein? Durch inneres Streben und durch unsere innere spirituelle Entwicklung wird die gesamte Schöpfung unser. Dann gibt es keine Schwierigkeit mehr.

Ich habe gelesen, dass man gleichzeitig spirituelle Energie verbraucht, wenn man sexuelle Energie gebraucht. Stimmt das? Wenn ja, was kann man tun, wenn man ein spirituelles Leben führen will?

Sri Chinmoy:
Was du gelesen hast, ist absolut wahr. Tierisch-menschliches Leben und göttliches Gottleben sind nicht miteinander vereinbar. Um die höchste Wahrheit zu erlangen, braucht der Sucher die völlige Reinigung und Transformation seines niederen Vitalen. Wenn man wahre Freude, anhaltende Freude will, muss man das Bedürfnis nach Sex überwinden. Wenn ein Sucher von grenzenlosem Frieden, grenzenlosem Licht und grenzenloser Glückseligkeit überflutet werden will, muss er letzten Endes dieses physische Bedürfnis überwinden. Ansonsten werden transzendentaler Frieden, transzendentales Licht und transzendentale Glückseligkeit für ihn in weiter Ferne bleiben.
Aber man kann Gott nicht über Nacht verwirklichen. Das ist unmöglich! Man erhält seinen Doktortitel schließlich auch nicht an einem Tag, nicht einmal in einem Jahr. Es können zwanzig Jahre Studium notwendig sein, um ihn zu erlangen. Und Gott-Verwirklichung ist ein weitaus schwierigeres Fach. Es erfordert viele Inkarnationen inneren Strebens und spiritueller Disziplin, um Gott zu verwirklichen. In jedem Leben hängt die Möglichkeit deiner Gott-Verwirklichung sowohl von deinem gegenwärtigen Streben als auch von deinem früheren spirituellen Leben ab.
Wenn du einem Anfänger sagst, dass er sein niederes vitales Leben, sein sexuelles Leben mit einem Mal aufgeben soll, wird er antworten: „Unmöglich. Wie soll ich das tun?“ Wenn er es mit einem Mal tun soll, wird er nie das spirituelle Leben beginnen. Doch wenn er langsam aber sicher vorwärts geht, kann er seinem Ziel näher kommen. Wenn er versucht zu schnell zu laufen und die Fähigkeit dazu nicht hat, wird er einfach zusammenbrechen. Er wird auch das begrenzte Streben verlieren, das er schon besitzt.
Das sexuelle Leben zu transformieren ist wie das Aufgeben einer schlechten Gewohnheit, nur für viele Menschen ist es schwieriger und braucht daher länger. Nehmen wir einmal an, jemand trinkt sehr viel. Wenn er sechs oder sieben Mal am Tag trinkt, dann sollte er zuerst einmal erkennen, dass es seiner Gott-Verwirklichung abträglich ist. Dann sollte er versuchen, weniger zu trinken. Wenn er sechs Mal am Tag trinkt, sollte er zu fünf Mal übergehen. Nach einer Weile sollte er nur noch vier Mal am Tag trinken. Noch eine Weile später sollte er nur noch dreimal am Tag trinken. Schritt für Schritt sollte er sein Verlangen nach Alkohol reduzieren.
In unserem gewöhnlichen menschlichen Leben haben wir viele Schwächen. Wenn wir versuchen, sie alle auf einmal zu überwinden, wird der Körper Widerstand leisten und zusammenbrechen. Der Körper wird sich auflehnen und wir werden in Stücke zerrissen werden. Wir müssen einen echten inneren Willen haben, den Willen der Seele, um unsere Begierden langsam und stetig zu überwinden. Schrittweise müssen wir durch unser inneres Streben unser Bedürfnis nach Sex reduzieren. Es wird ein Tauziehen geben zwischen dem inneren Streben und dem grobphysischen Verlangen, aber allmählich wird unsere Natur gereinigt werden.
Mit der Kraft unseres inneren Dranges müssen wir dem Licht entgegenlaufen. Dann werden wir sehen, dass zwischen Vergnügen und Freude ein großer Unterschied besteht. Auf Vergnügen folgt stets Frustration, und auf Frustration folgt unausweichlich Zerstörung. Aber auf Freude folgt mehr Freude und unermessliche Freude, und in der Freude erfahren wir wahre Erfüllung.
Wenn jemand in das spirituelle Leben eintritt und sagt: „Heute werde ich all meine niederen Neigungen überwinden“, dann hält er sich selbst zum Narren. Morgen wird ihn sein physischer Verstand mit Zweifeln quälen. Sein unreines und grausames Vitales wird ihn auf jede erdenkliche Weise bestrafen. Er wird frustriert sein, und in seiner Frustration wächst seine eigene Zerstörung heran. Das niedere vitale Leben muss vollständig verwandelt werden, bevor Gott-Verwirklichung stattfinden kann, aber ich rate meinen Schülern, dies schrittweise zu tun und mit aufrichtiger Entschlossenheit.

Wie kann man Sexualität transzendieren?

Sri Chinmoy:
Versuche nicht, Sexualität zu unterdrücken. Mit deiner inneren Weisheit, deiner inneren Erfahrung und deinem inneren Licht kann Sexualität transzendiert werden und muss es auch. Aber indem man gegen sie kämpft oder sie unterdrückt, kann Sexualität nicht bezwungen werden. Der einfachste Weg, etwas zu transzendieren, besteht darin, es nicht zu beachten und zu fühlen, dass es unnötig ist. Wenn du fühlst, dass etwas notwendig ist, kommt es, um dich in Versuchung zu führen, und du wirst sehen, dass du in der Falle sitzt.
Wenn du deine Begierden überwinden willst, gibt es nur eines zu tun. Du musst auf positive Weise dem Licht mehr Aufmerksamkeit schenken. Aber nicht auf Biegen und Brechen! Wenn du dein vitales Verlangen durch Unterdrückung zähmen willst, wirst du dieses physische Bedürfnis niemals überwinden. Du musst dich dem Licht öffnen und das Licht in dir erreichen oder spüren. Wenn du ständig an deine Begierden, an dein vitales, sexuelles Leben denkst, wirst du nie in der Lage sein, es zu überwinden. Es ist unmöglich. Selbst wenn du in der Absicht daran denkst, es zu überwinden, machst du einen Fehler. Denke an die anderen Dinge wie Licht und Freude, die du brauchst und du tatsächlich auch haben willst. Durch Konzentration und Meditation kannst du innere Freude und inneres Licht erhalten. Du wirst versuchen, sie in deinen grobstofflichen Körper zu bringen, und dein physisches Wesen wird ebenfalls göttliche Freude und göttliches Licht fühlen. Zu diesem Zeitpunkt wird dich das Leben zerstörerischen Vergnügens verlassen und das Leben erfüllender Freude wird dich umarmen.

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