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Religion

Unterschiedliche Glaubensvorstellungen führen oft zu Streit und Disharmonie. Für Sri Chinmoy bedeutet wahre Religion Liebe zu Gott. Er erklärt, warum sie für den Menschen so wichtig ist, und zeigt das Verbindende zwischen den Religionen.

Guru, beinhaltet deine spirituelle Philosophie auch die christliche Vorstellung von der Erlösung?

Sri Chinmoy:
In einem sehr weiten Sinn beinhaltet meine Philosophie auch die Vorstellung von der Erlösung, aber sie legt die Betonung mehr auf die menschliche Befreiung von der Unwissenheit. Durch bewusste Befreiung von der Unwissenheit wächst der endliche Mensch von heute in den unendlichen Gott von morgen. Meinem Verständnis zufolge lebte und starb der Erlöser Christus, um die Menschheit durch das Beispiel seiner eigenen Erden-Erfahrung von Unwissenheit und Unvollkommenheit - der Sünde - zu befreien.

Warum erlaubt Gott Feindschaft zwischen Menschen unterschiedlicher Religion?

Sri Chinmoy:
Warum erlaubt Gott einzelnen Menschen, ungöttlich und feindselig zu sein? Die einzige Antwort, die ich dir geben kann, ist die, dass Sein Mitleid momentan unendlich viel machtvoller ist als Seine Gerechtigkeit. Gott erlaubt alles, aber der Einzelne sollte wissen, was er zu tun hat. Wir existieren nur deshalb, weil Gott uns erlaubt, auf Erden zu leben. Du magst sagen, dass andere Leute viel schlimmer sind als wir, dass manche Leute mehr streiten und kämpfen oder mehr an Gott zweifeln als wir es tun. Aber wir müssen uns fragen, ob wir nicht manchmal selbst streiten und kämpfen, ob wir nicht manchmal selbst Zweifel hegen. Die Antwort wird sein „Ja, das tun wir, wenn auch vielleicht etwas weniger als andere.“ Wenn Gott uns erlaubt, etwas zu tun, dann dürfen wir Gott nicht vorwerfen, dass Er anderen auch erlaubt, dasselbe zu tun. Es ist nur eine Frage der Abstufung. Wir zweifeln an Gott vielleicht ein Mal in sechs Monaten; ein anderer zweifelt vielleicht in jeder Sekunde an Ihm. Doch wenn wir sagen: „In dieser Inkarnation habe ich noch nie an Gott gezweifelt“, dann ist das ein Irrtum. Und auch wenn wir etwas Falsches tun und eine andere Person tut das gleiche in einem viel größeren Maße, ist das immer noch keine Entschuldigung dafür, die andere Person zu kritisieren und anzugreifen. Kümmern wir uns nur darum, unsere eigene Natur zu vervollkommnen. Gott wird sich um die anderen kümmern.

Was muss in der Religion überwiegen – die Vernunft oder die Empfindungen des Herzens?

Sri Chinmoy:
In der Religion muss das Gefühl eines Einsseins-Herzens vorherrschen und nichts anderes. Religion ist keine Sache der Vernunft. Wenn wir in unserem Einsseins-Herzen leben, werden wir die Essenz aller Religionen fühlen, welche Liebe zu Gott ist. Aber wenn wir im Verstand leben, werden wir nur versuchen, eine Religion von der anderen zu trennen und zu sehen, wie sich ihre Ideologien unterscheiden. Nur das Herz kann ein wahres intuitives Verständnis von der Höhe und Tiefe aller Religionen haben. Nur das Herz sieht und fühlt die innere Harmonie und das Einssein aller Religionen.

In der Hindu-Tradition heißt es, dass Atman dem Brahman, das heißt die individuelle Seele der Universellen Seele gleich ist. Jesus Christus sagte einmal: „Ich und mein Vater sind eins.“ Meinen diese beiden Aussagen ein und dasselbe?

Sri Chinmoy:
Sie meinen beide dasselbe. Wir sprechen in Sanskrit von Atman und Paramatman, der individuellen Seele und dem Höchsten Selbst. Gott kommt in die Manifestation herab und nimmt die Gestalt der individuellen Seele an. Im Laufe der Evolution erreicht dann die individuelle Seele das Höchste Selbst, Paramatman, und wird zum Höchsten Selbst. Aber um Sich selbst in der materiellen Welt allumfassend und gänzlich zu erfüllen, braucht Gott die individuelle Seele, Atman.
Diese Aussagen sind ein und dieselbe. Als Christus sagte: „Ich und der Vater sind eins“ hätte er auch sagen können, dass Atman und Paramatman eins sind. Darum sagen wir in Indien: „Atmanam Viddhi“ – „Erkenne dich selbst.“ Wenn du dich selbst erkennst, dann hast du Gott erkannt, denn in der Essenz gibt es keinen Unterschied zwischen dir und Gott. Selbst-Verwirklichung ist Gott-Verwirklichung, und Gott-Verwirklichung ist Selbst-Verwirklichung. Aus diesem Grunde sagen wir in Indien auch: „Soham Asmi“ – „Er bin ich“ und „Aham Brahma“ – „Ich bin Brahman“.
Ganz ähnlich haben alle esoterischen Traditionen immer erklärt, dass wahres Wissen heißt, im Innern zu suchen. Wie kann ich das wissen? Jesus sagte: „Das Königreich des Himmels ist in dir.“ Die moderne Vorstellung vom Himmel, zumindest im Westen, ist die von einem fernen Ort im Jenseits, wo immerzu Milch und Honig fließen. Die Errungenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts wirft uns noch weiter zurück, was unsere Vorstellung vom Himmel betrifft.

Würde deinem Pfad zu folgen bedeuten, im Widerspruch zu Jesus zu stehen, der sagte: „Ich und der Vater sind eins. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“?

Sri Chinmoy:
Der Widerspruch besteht im Verstand des Suchers, nicht im Herzen des Suchers. Christus sagte damit, dass nur inneres Streben dich zur Verwirklichung führen kann. Wenn du Jesus Christus lediglich als jemanden siehst, der dreiunddreißig Jahre auf der Erde weilte, dann machst du einen Fehler. Betrachte Christus als den Repräsentanten des Einen, der keine Geburt und keinen Tod kennt. Und wenn du denkst, dass er die erste Gottverwirklichte Seele war, dann irrst du dich erneut. Vor ihm lebten Sri Krishna und Lord Buddha. Wir sollten uns bewusst sein, dass das Christus-Bewusstsein, das Buddha-Bewusstsein und das Krishna-Bewusstsein alle Teil derselben höchsten Wirklichkeit sind. Wenn du einen Meister hast, an den du glaubst, dann wird er dir helfen, das Christus-Bewusstsein, das Buddha-Bewusstsein und das Krishna-Bewusstsein zu verwirklichen. Auf der einen Seite repräsentieren diese großen spirituellen Meister das Absolute, auf der anderen Seite sind sie das Absolute. Egal, welchem Pfad du folgst, er wird dich zu deiner Bestimmung führen. Du nennst es vielleicht das Christus-Bewusstsein, ein anderer wird es das Krishna-Bewusstsein oder das Buddha-Bewusstsein nennen. Aber dabei wird es keinen Widerspruch geben, denn die Wahrheit ist eins. Jeder Pfad, dem du folgst, wird dir helfen, die Wahrheit zu verwirklichen.

Ich habe eine ganze Reihe spiritueller Schriften studiert. Ich predige auch gerne über Spiritualität, Religion und so weiter. Aber selbst fühle ich eine öde Wüste in mir. Alles, was ich tue, gibt mir keine Befriedigung. Könntest du das für mich erhellen?

Sri Chinmoy:
Ich habe volles Verständnis für dich. Du bist nicht allein. Es gibt eine ganze Reihe menschlicher Seelen, die im gleichen Boot sitzen. Das Studium von Büchern und Schriften kann uns Informationen geben, die wir zitieren können, und ein gewisses Verständnis; bestenfalls kann es uns Inspiration schenken, aber nicht mehr. Dadurch, dass wir die Gedanken von anderen ausleihen, können wir in unserem inneren Leben niemals wahrhaft erleuchtet werden. Nur indem wir das ewige Buch der Wahrheit in uns selbst studieren, indem wir fortwährend auf die Stimme des inneren Selbst hören, können wir spirituelle Erleuchtung erhalten. Nur dann finden wir Freude in unserem inneren Leben. Wir müssen zuerst Gott sehen, und dann können wir gottgleich sein. Um wirklich gottgleich zu sein, muss das Reden dem Werden weichen. Lass mich dir eine wahre Geschichte erzählen.
In einem gewissen Dorf in Bengalen in Indien musste der Diener eines reichen Mannes jeden Tag mit der Fähre einen Fluss überqueren, um zum Hause seines Herrn zu gelangen. Eines Tages tobte ein heftiger Sturm. Die Fähre konnte nicht über den aufgewühlten Fluss setzen, und der Diener kam zu spät. Sein Herr war wütend. „Du Narr“ rief er, „wenn du Krishnas Namen dreimal ausrufst, wirst du sehen, dass du kein Boot brauchst. Dann kannst du über den Fluss gehen!“
Am nächsten Tag, als der Sturm noch immer keine Anzeichen machte, sich zu beruhigen, drohte dem armen Diener die gleiche Situation. Doch in seinem einfachen Glauben gehorchte er den Anweisungen seines Herrn. Aus der tiefsten Tiefe seines Herzens rief er den Namen Krishnas. Und siehe da! Wunder über Wunder! Er spürte eine Kraft, die ihn zum Wasser trieb. Er war in der Lage, über die Wellen zu gehen und überquerte so den Fluss.
Als sein Herr die Geschichte hörte, kannte seine Freude keine Grenzen. Stolz begann sein Herz zu erfüllen. War es nicht sein Rat gewesen, der zum Erfolg geführt hatte? „Ich wusste gar nicht, dass mein Rat solche Kraft hat“, dachte er. „Dieses Wunder will ich selbst erleben.“
Er ging hinab zum Fluss, der nun vollkommen ruhig dahinströmte. Er rief dreimal Krishnas Namen und begann den Fluss zu überqueren. Doch Angst und Zweifel quälten sein ganzes Wesen, und obwohl er den heiligen Namen hunderte von Malen ausrief, war sein Versuch vergeblich. Er ertrank.
Was lernen wir nun aus dieser Geschichte? Der Diener besaß aufrichtigen Glauben an seinen Herrn. Und er glaubte fest an Lord Krishna. Es war dieser absolute Glauben an eine göttliche Kraft, die ihn rettete und die die Macht von Krishnas Gnade bewies.
Auf ähnliche Weise kann ein Redner trotz seines eigenen schwachen Glaubens in seinen Zuhörern echten Glauben erwecken. Aber nur indem jemand selbst wahrhaft spirituell ist, kann er anderen am wirkungsvollsten helfen. Wenn wir andere von der Wahrheit überzeugen wollen, muss unsere höchste Autorität aus der unmittelbaren Erkenntnis der Wahrheit kommen und nicht aus irgendeiner Schrift. Im göttlichen Spiel spielt unerleuchtete Autorität die Rolle einer Lampe, während die Wahrheit in der Verwirklichung die Rolle des Lichtes spielt.

Gibt es einen Unterschied zwischen einer Religion und einer anderen? Verlangt Yoga den Verzicht auf alle Religionen?

Sri Chinmoy:
Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen einer Religion und einer anderen, weil jede Religion die letzte Wahrheit verkörpert. Daher steht Yoga zu keiner Religion im Widerspruch. Jeder kann Yoga praktizieren. Ich habe Schüler, die Katholiken, Protestanten, Juden und so weiter sind. Man kann Yoga unabhängig von seiner Religion ausüben. Wenn jemand allerdings im Hinduismus aufgewachsen ist, mag er sich davor fürchten, den Katholizismus anzunehmen und umgekehrt. Ein wahrer Sucher jedoch, der begonnen hat, sich der Spiritualität und dem Yoga zu widmen, wird keine Schwierigkeit damit haben, seine eigene Religion beizubehalten. Ich rate meinen Schülern, ihre eigene Religion nicht aufzugeben. Wenn sie in ihrer eigenen Religion bleiben und ein spirituelles Leben führen und innere Disziplin praktizieren, dann werden sie schneller vorwärts gehen, weil ihre eigene Religion ihnen stetes Vertrauen geben wird in das, was sie tun, und sie in dem bestätigen wird, was sie in ihrem Leben tatsächlich praktizieren.

Die meisten Menschen finden den Gedanken unerträglich, dass es keinen tieferen Sinn des Lebens geben soll. Sind daher alle religiösen Überzeugungen Täuschungen? So wie ich es sehe, kann dies auf intellektueller Ebene weder bewiesen noch widerlegt werden.

Sri Chinmoy:
Die letzte Wahrheit über Leben und Tod kann niemals angemessen erklärt oder ausgedrückt werden. Sie kann vom Sucher nur gefühlt werden. Ich pflichte dir vollkommen bei, dass diese Ansicht genau wie die deiner Frau intellektuell nicht bewiesen werden kann. Doch was sie über Leben und Tod fühlt, muss nicht unbedingt zutreffen. Eine andere Ansicht ist, dass das Leben die Verbindung zwischen Geburt und Tod ist und gleichzeitig der Geburt vorangeht und auf den Tod folgt.
Menschliche Erinnerung ist nicht das erste und letzte Wort der Schöpfung. Wenn ich mich mit achtzig Jahren nicht mehr an einen Vorfall erinnern kann, der im Alter von vier Jahren in meinem Leben stattfand, dann heißt das nicht, dass ich damals nicht existierte. Genauso wie eine Reihe von Jahren zwischen meinem vierten und meinem achtzigsten Lebensjahr liegt, verbindet eine Reihe von Leben die Gegenwart mit der fernen Vergangenheit und projiziert sich in die unmittelbare Zukunft hinein.
Dann gibt es auch noch etwas, das über das Fassungsvermögen unseres begrenzten Körperbewusstseins hinaus geht. Selbst wenn ein Mensch völlig in seinen gewöhnlichsten physischen Aktivitäten verstrickt ist, fühlt er doch manchmal in sich einige seltsame Wahrheiten. Diese sind normalerweise fremd und zugleich sehr erhebend. Diese Wahrheiten kommen aus einer höheren oder tieferen Welt, von einer anderen Bewusstseinsebene, und sie klopfen an die Tür seines Verstandes. Auf diese Weise besitzt er Kräfte und wird von Kräften besessen, die über sein normales Gewahrsein hinaus gehen.
Wenn wir uns in Einklang mit diesen höheren Kräften, ja mit der universellen Harmonie bringen, dann hört das Leben auf, unerträglich zu sein. Ich stimme völlig mit der Sichtweise deiner Frau überein, dass der Gedanke, nein, das Leben selbst unerträglich wird, wenn ein Mensch keinen Sinn, kein Ziel und keinen Zweck im Leben sieht. Was aber religiöse Überzeugungen anbetrifft, möchte ich ihr eine Analogie geben: Ich lebe jetzt in einer Wohnung in New York. Wenn ein Kind mich anspricht und fragt: „Gibt es einen Ort namens Köln?“ werde ich antworten: „Sicher, mein Kind, und zwar in Deutschland.“ Nehmen wir an, das Kind sagt, ich solle es ihm beweisen. Aber wie kann ich es ihm beweisen, außer dass ich ihm Landkarten und Fotos zeige? Ich kann ihm nur erzählen, dass ich Köln selbst besucht habe und dass es Millionen anderer Menschen gibt, die das ebenfalls getan haben. Der Zweifel des Kindes kann die Existenz der Stadt nicht verneinen.
Auf ähnliche Weise können jene, die Gott vollständig verwirklicht haben, uns mit vollem Recht sagen, dass es Gott gibt. Nur weil wir Ihn nicht verwirklicht haben, können wir die Existenz Gottes nicht abstreiten. Genau wie das Kind die Bestätigung für seine physischen Augen nur finden kann, indem es nach Köln reist, können wir uns die Wirklichkeit Gottes nur beweisen, wenn wir Ihn sehen. Und diese Suche nach Verwirklichung würde einem ansonsten sinn- und zwecklosen Leben eine unvergleichliche Bedeutung und Richtung geben.

Sri Krishna meditierte und wurde zu Gott, dem göttlichen Licht. Christus meditierte und wurde zu Gott, dem göttlichen Mitleid. Nun möchte Gott, dass wir meditieren, damit wir zu Gott, dem göttlichen Leben, werden. Was ist mit Abraham, Moses und Mohammed?

Sri Chinmoy:
In der Tat waren auch Abraham, Moses und Mohammed Gottes Vertreter auf Erden. Gottes bewusste Diener sind wie eine Familie mit vielen Mitgliedern. Stellen wir uns einmal eine Familie mit zehn Mitgliedern vor, die alle mit außergewöhnlichem musikalischem Talent gesegnet sind. Du bist nun einer der Brüder, und aufgrund deiner persönlichen Gefühle ziehst du einige deiner Geschwister den anderen vor. Du behauptest keineswegs, dass diejenigen, die du bevorzugst, die einzigen Musiker in der Familie sind, während die anderen keine Musiker sind. Du hast einfach einige deiner Geschwister lieber als andere.

Warum brauchen wir Religion?

Sri Chinmoy:
Wir brauchen Religion, weil wir über das Endliche hinaus gehen wollen, um mit dem Unendlichen zu kommunizieren. Das ist nicht nur möglich, sondern unausweichlich, denn in uns ist ein bewusstes Wesen, welches Gottes Wirklichkeit in ihrer Ganzheit sieht.
Religion ist eine spontane Erfahrung und niemals ein theoretisches Wissen. Diese Erfahrung ist ungeheuer praktisch, und wir können sie bewusst in jedem Moment unserer irdischen Existenz anwenden.
Religion ist dem Menschen niemals auferlegt worden. Sie ist dem tiefsten Bedürfnis seines inneren Wesens entsprungen. Wenn dieses innere Wesen zum Vorschein kommt und um sich schaut, fühlt es Gottes alldurchdringende Immanenz, wenn es empor schaut, fühlt es Gottes allübersteigende Transzendenz als sein eigenes göttliches Erbe. Religion hat zwei Leben: das äußere und das innere Leben. Sie anerbietet ihr äußeres Leben den Suchern auf der vorbereitenden Stufe vitalen und emotionalen Strebens. Sie anerbietet ihr inneres Leben der universellen Meditation und Gottverwirklichung.

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