Heilige

Göttliche Ekstase eines Heiligen oder Verrücktheit? Sri Chinmoy erklärt, woran man den Unterschied erkennt, und erzählt eine Geschichte.

Was meinst du damit, wenn du sagst, dass „ein Heiliger über der Versuchung steht“?

Sri Chinmoy:
Troilanga Swami wog über dreihundert Pfund. Er lebte in Benares und verbrachte die meiste Zeit damit, im Wasser des Ganges zu baden. Einmal spazierte er nackt die Straße entlang, als er an einem neuen Magistrat vorbei ging, der gerade erst in diese Gegend gekommen war. Der Magistrat wurde wütend und befahl einem Polizisten, den Meister zu verhaften und in eine kleine Zelle zu sperren. Am folgenden Morgen sah der Magistrat, wie Troilanga Swami außerhalb der Zelle umher ging. „Wie bist du da herausgekommen?“ verlangte er zu wissen.
Troilanga Swami antwortete: „Es war so einfach. Ich kam heraus, weil mir danach war. Während der Nacht habe ich mich entleert und nun riecht es; deshalb dachte ich, dass es für mich besser wäre, den Raum zu verlassen.“
Diesmal setzte der Magistrat den Meister persönlich hinter Schloss und Riegel und schloss zweimal ab. Am folgenden Morgen, als der Magistrat in seinem Büro arbeitete, sah er plötzlich Troilanga Swami in einer Ecke des Raumes stehen und ihn anlächeln. Der Magistrat fragte: „Wie ist es möglich, dass du hier bist?“
Troilanga Swami erwiderte: „Du solltest die unschuldigen Hindu-Yogis nicht belästigen. Sie können alles tun, was sie wollen. Ich spaziere zwar nackt die Straße entlang, aber ich habe keinerlei Interesse an Frauen. Gewöhnliche Männer hingegen sind voller Lust. Sie haben alle möglichen emotionalen Probleme, Probleme des niederen Vitalen, sexuelle Probleme. Aber bei mir ist das anders. Außerdem, wenn mich die Leute anschauen, dann sehen sie, dass mein Körper so schwer und sonderbar ist. Wer soll daher schon Interesse an mir haben? Ich habe der ganzen Welt entsagt, und gleichzeitig hat niemand ein unreines Interesse an mir. Warum belästigst du mich also? Ich stelle keine Versuchung dar, und ich werde von niemandem in Versuchung geführt. Wenn du die Hindu-Yogis quälen willst, wirst du dich blamieren, denn es wird dir in jedem Moment misslingen, weil wir weit über menschlicher Quälerei stehen.“
Ein wahrhaft Gottverwirklichter Mensch ist jemand, der die Fähigkeit besitzt, nicht von anderen angegriffen zu werden und gleichzeitig andere nicht anzugreifen. Er beschützt sich selbst vor der Welt und beschützt die Welt vor sich selbst. Diese wunderbare Errungenschaft verdankt er dem untrennbaren Einssein der Göttlichkeit seines Körpers mit der erhabenen Universalität seiner Seele. Der Körper genießt die Freiheit der Seele. Die Seele genießt die Annahme der Seelenwirklichkeit durch den Körper.

Wenn ein Mensch sich mit dem Universellen Bewusstsein identifiziert, dann verdient es dieser Mensch sicher, verehrt zu werden. Es gibt aber auch Verrückte. Was sind denn die Merkmale, um zwischen einem Heiligen und einem Verrückten zu unterscheiden?

Sri Chinmoy:
Heilige sind von göttlicher Ekstase berauscht. Große spirituelle Heilige trinken ambrosischen Nektar, wenn sie ihre spirituelle Vollkommenheit erlangen. Sie leben in jenem beseligenden Bewusstsein, in dem sie fühlen, dass die Welt selbst den spirituellen Ozean der Glückseligkeit enthält. Einige von ihnen versuchen, diese höchste Wonne, Ananda, von der sehr hohen Ebene, von der sie sie erhalten haben, herab zu bringen, und manchmal fällt ihnen das schwer. Wenn es schwierig für sie ist, im Zustand dieser Glückseligkeit die materielle Ebene zu berühren, dann können sie ihr inneres Gleichgewicht verlieren und für eine Weile das physische Bewusstsein vergessen. Dann werden sie auf der physischen Ebene vielleicht nicht normal funktionieren. Ein Sucher kann zum Beispiel seinen Namen vergessen, und andere werden vielleicht sagen, dass er sich wie ein Verrückter benimmt.
Ein gewöhnlicher Verrückter jedoch ist auf der mentalen, vitalen oder physischen Ebene aus dem Gleichgewicht geraten. Er weiß nie, was er tun sollte, was er sagen sollte oder wie er handeln sollte. Er hat die Verbindung zwischen der physischen Welt und seiner eigenen Existenz auf der Erde dauerhaft verloren. Egal was er sagt oder tut, er ist nie in Harmonie mit dem Universellen Bewusstsein. Mit anderen Worten, er kann sich nicht in das Universelle Bewusstsein eingliedern, in dem wir alle weilen. Jeder von uns lebt im Universellen Bewusstsein, auch wenn wir uns dessen vielleicht nicht bewusst sind. Gleichzeitig verletzen wir aber nicht die Regeln des Universellen Bewusstseins. Ein Verrückter ist sich des Universellen Bewusstseins auch nicht bewusst, aber aufgrund seiner Unwissenheit verletzt er die Gesetze des Universellen Bewusstseins.
Genauso wie wir vorgefasste Ideen haben, hat auch der Verrückte vorgefasste Ideen, aber er kann seine Ideen nicht so formulieren wie wir. Wir kennen unseren Verstand. Wir wissen, wie ein Gedanke dem anderen folgen kann. Bei einem Verrückten ist das nicht der Fall. Alle Gedanken und Ideen der höheren und niederen Welten treten wie ein Blitz in ihn ein, und er verliert sein ganzes inneres und äußeres Gleichgewicht. Die Kräfte und der Druck der anderen Welten dringen in ihn ein und finden in ihm einen freien Kanal, um sich Ausdruck zu verschaffen.
Ein gewöhnlicher Verrückter wird sich nie dem Licht oder der Wahrheit öffnen, die sein Dasein auf Erden retten können; während der von Gott berauschte Mensch, der wahre Heilige, verrückt ist vor göttlicher Schönheit, vor göttlichem Licht, vor göttlicher Reinheit und allem anderen, das göttlich ist. Er möchte das Göttliche besitzen und vom Göttlichen besessen werden. Das ist der Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Verrückten und einem von Gott berauschten Heiligen.

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