In der Hindu-Tradition heißt es, dass Atman dem Brahman, das heißt die individuelle Seele der Universellen Seele gleich ist. Jesus Christus sagte einmal: „Ich und mein Vater sind eins.“ Meinen diese beiden Aussagen ein und dasselbe?

Sri Chinmoy:
Sie meinen beide dasselbe. Wir sprechen in Sanskrit von Atman und Paramatman, der individuellen Seele und dem Höchsten Selbst. Gott kommt in die Manifestation herab und nimmt die Gestalt der individuellen Seele an. Im Laufe der Evolution erreicht dann die individuelle Seele das Höchste Selbst, Paramatman, und wird zum Höchsten Selbst. Aber um Sich selbst in der materiellen Welt allumfassend und gänzlich zu erfüllen, braucht Gott die individuelle Seele, Atman.
Diese Aussagen sind ein und dieselbe. Als Christus sagte: „Ich und der Vater sind eins“ hätte er auch sagen können, dass Atman und Paramatman eins sind. Darum sagen wir in Indien: „Atmanam Viddhi“ – „Erkenne dich selbst.“ Wenn du dich selbst erkennst, dann hast du Gott erkannt, denn in der Essenz gibt es keinen Unterschied zwischen dir und Gott. Selbst-Verwirklichung ist Gott-Verwirklichung, und Gott-Verwirklichung ist Selbst-Verwirklichung. Aus diesem Grunde sagen wir in Indien auch: „Soham Asmi“ – „Er bin ich“ und „Aham Brahma“ – „Ich bin Brahman“.
Ganz ähnlich haben alle esoterischen Traditionen immer erklärt, dass wahres Wissen heißt, im Innern zu suchen. Wie kann ich das wissen? Jesus sagte: „Das Königreich des Himmels ist in dir.“ Die moderne Vorstellung vom Himmel, zumindest im Westen, ist die von einem fernen Ort im Jenseits, wo immerzu Milch und Honig fließen. Die Errungenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts wirft uns noch weiter zurück, was unsere Vorstellung vom Himmel betrifft.